Magda Kutt führte Experteninterview mit Heidi Nickel. Das geschah im Februar im Rahmen ihres Studiums an der FOM in Dortmund und ihrer Bachelorarbeit mit dem Thema „Kritische Analyse der Work-Life-Balance – Maßnahmen zur Förderung der Mitarbeiterbindung“. Lesen Sie hier gerne das vollständige Interview.
I: Welcher Maßnahmenkategorie ordnen Sie die höchste Bedeutung in Bezug auf Mitarbeiterbindung bei?
- Arbeitszeitmodelle
- Betriebliches Gesundheitsmanagement
- Förderung des Familienlebens
IP: Das ist eine gute Frage, da würde ich die Förderung des Familienlebens nehmen.
I: Welche Chancen sehen Sie generell in Bezug auf Work-Life-Balance-Maßnahmen für Unternehmen und Mitarbeiter? Ergeben sich ggf. win/win Situationen?
IP: Wenn ich das jetzt aufgreife mit der Work-Life-Balance und betrachte es auf die Arbeit, die Familie und mich in Persona, sprich meine eigene Zeit, also Freizeit. Wenn es da eine ausgewogene Gewichtung gibt auf diese 3 Bereiche und sozusagen mein Umfeld, meine Familie eingebunden werden kann, dann glaube ich, dass ich leistungsfähiger, ausgeglichener und loyaler dem Unternehmen gegenüber bin.
I: Welche Risiken sehen Sie generell in Bezug auf Work-Life-Balance-Maßnahmen für Unternehmen und Mitarbeiter?
IP: Ich denke Risiken sind zu wenige Standards, also die Definition von Standards. Mit den individuellen Maßnahmen wird ein Produktivitätsverlust erhöht, also Kosten für Unternehmen. Hierbei stellt sich die Frage bei Standardmaßnahmen, vielleicht greifen die nicht wie bspw. die Veränderung des Arbeitszeitmodells oder wenn ich eine Kita implementiere. Wenn Mitarbeiter aber keine Kinder haben, dann greifen diese nicht auf die Maßnahme zurück, andere machen das. Ich erreiche somit nicht alle Mitarbeiter. Habe ich individuelle Maßnahmen, dann gewähre ich einem Mitarbeiter bspw. ein Sabbatjahr, dem nächsten Mitarbeiter kann ich das nicht gewähren oder der Mitarbeiter braucht das nicht. Vom Risiko stellt sich die Frage, was ich mache und den Kosten, das heißt die Produktivität. Ist ein Mitarbeiter bspw. ein Jahr weg, dann arbeitet er nicht und wenn er in einer Kundenbeziehung ist, dann kann der Kunde sagen, dass er mit Herrn X oder Frau Y sprechen möchte. Das sind dann entgangene Gewinne. Welchen Nutzen habe ich aus wirtschaftlicher Art?
I: Sehen Sie in dieser Kategorie auch Schwächen?
IP: Ja, die Grenzen zu finden. Wenn ich Firmenfeiern habe, lade ich dann die Ehepartner mit ein. Oder mache ich daraus ein Familienfest mit Kindern. Wo sind letztendlich die Grenzen? Da würde ich die Mitarbeiter daran beteiligen und diese befragen. Die Familie ist der größte Rückhalt und das ist das Team. Wenn die Mutter dem Auszubildenden das Butterbrot schmiert, damit er was zum Essen hat, dann braucht er nicht auf etwas Ungesundes zurückgreifen und wird dadurch vielleicht nicht eher krank. Das macht ihn wieder leistungsfähiger.
I: In welcher Form sollte WLB im Unternehmen integriert werden? Genügt die Bereitstellung von Maßnahmen oder sollte dies in der Unternehmenskultur verankert sein?
IP: Eine Verankerung in der Unternehmenskultur. Wenn ich jetzt sage, dass wir eine Familie sind und wir achten auf deine Familie; außerhalb, also in deinem Umfeld, dann erfolgt eine Ausweitung des Blickfeldes, dann hat es einen unternehmenskulturellen Wert.
I: Wie wichtig schätzen Sie die Rolle der Führungskräfte bei der Implementierung von Work-Life-Balance-Maßnahmen ein?
IP: Das ist die wichtigste Bezugsperson. Wenn wir grundsätzlich über Verhältnisprävention sprechen, dann ist das in der Verhältnisprävention das Wichtigste.
I: Auf Führungsebene können Widerstände oder Unverständnis gegenüber neuen Maßnahmen auftreten. Wie können Führungskräfte für dieses Thema sensibilisiert werden?
IP: Durch Schulungen, Workshops, Erfahrungsaustausche oder Coachings. Sie müssen über die Maßnahmen aufgeklärt werden, also über die Bedeutung, die Wichtigkeit ihres Handels. Da spielt die Wertschätzung eine große Rolle bspw. Lob. Nicht das der/diejenige seine Elternzeit genießt und die Führungskraft dieses nicht toleriert und dem Mitarbeiter ein schlechtes Gewissen macht und ihm sagt, dass andere dafür mehr arbeiten müssen.
I: Wie wichtig ist die Umsetzung der Maßnahmen durch die Mitarbeiter und die damit verbundene Akzeptanz innerhalb der Belegschaft?
IP: Das ist total wichtig; das sind Umsetzungskompetenzen. Das ist heute das wichtigste, unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten. Wenn ich nur rede, aber nicht Handeln, bin ich unglaubwürdig. Damit erreiche ich dann nicht das gewünschte Ergebnis; das die Mitarbeiter gerne in meinen Betrieb kommen und arbeiten.
I: Wie würden Sie mit Mitarbeitern umgehen, die sich dagegen sträuben?
IP: Grundsätzlich würde ich das akzeptieren, aber auch mit denjenigen das Gespräch führen um die Gründe herauszufinden, welche Bedenken oder Ängste diese Mitarbeiter haben. Sie dann noch einmal motivieren, dass sie es selbst miterleben.
I: Sind WLBM ein Garant für eine positive wirtschaftliche Entwicklung eines Unternehmens?
IP: Nein, das glaube ich nicht. Wie heute Work-Life-Balance definiert ist, glaube ich das nicht. Arbeit und Freizeit und diese Definitionen müssen klarer sein; was ist die Arbeitszeit? Und dann sind das eher motivatorische Elemente und gezielte Gesundheitselemente, als das ich nur sage, ich verschaffe dir jetzt einen Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit. Also Gesundheit in Balance zu sein, wird eine höhere Bedeutung spielen bzw. integrativ sein. Was mache ich mit demjenigen in der Arbeitszeit, wozu verhelfe ich ihm in der Freizeit?
I: Sehen Sie WLBM auch als Instrument gegen den Fachkräftemangel?
IP: Nur so wie ich es eben gerade beschrieben habe.
I: Wie fundamental ist die Mitarbeiterbindung für den Erfolg eines Unternehmens?
IP: Ja, das glaube ich hat schon eine hohe Bedeutung, aber dann geht es darum, die richtigen Mitarbeiter richtig zu binden bspw. über Unternehmensbeteiligungen. Viele Mitarbeiter die eben älter sind und vielleicht auch kränker sind, gehen auch nicht. Diese sind in hohem Maße schon gebunden. Also grundsätzlich ist klar zu stellen, was darunter zu verstehen ist, ob Mitarbeiter oder Fachkräfte zu binden sind.
I: Sind Sie der Meinung, dass gute Mitarbeiter alle 5 Jahre das Unternehmen wechseln sollten?
IP: Es geht dann darum auf welcher Position; Es geht ja nicht darum das Unternehmen zu wechseln, sondern eine Aufgabe bzw. eine veränderte Aufgabe zu bekommen. Das kann eine Erweiterung sein oder eine Spezifizierung oder eine andere Rolle. Da glaube ich schon, dass es wichtig ist für die eigene Persönlichkeitsentwicklung, dass sie nicht stehenbleiben.
I: Wie sieht das aus Sicht des Unternehmens aus?
IP: So wie ich das gerade gesagt habe, wenn ich die richtigen Mitarbeiter habe und diese immer weiterentwickelt habe, da ist die Frage, wann ich einen Change Prozess anfange. Wenn ich im Unternehmen bin, welches schon 100 Jahre auf dem Markt ist und bei den Mitarbeitern ist eine Überalterung vorhanden, dann ist eine Anpassung an jeweils neue Impulse schwierig. Also da gibt es kein „Ja“ oder „Nein“. Grundsätzlich geht es darum die Leistungsfähigkeit und das Know-How zu erhalten. Wenn jemand wichtiges Know-How hat, dann sollte er auch 20 Jahre im Unternehmen sein.
I: Welche Stärken und Schwächen gibt es beim betrieblichen Gesundheitsmanagement?
IP: Die Schwäche ist, wenn ich es nicht mit einem Plan mache; wenn ich kein Ziel habe. Dann kann alles richtig oder falsch sein. Die nächste Schwäche ist, nicht alle Mitarbeiter ins Boot zu holen, also auch eine gewisse Offenheit für: „Wir wollen uns jetzt um die Gesundheit der Mitarbeiter kümmern“. Das nächste ist, transparent zu machen: „Wo wollen wir als Unternehmen hin?“. Wir sind nicht der Ausbeuter. Wenn du gesund bist, dann muss du nicht mehr arbeiten, sondern das ist eine win-/win Situation. Einen Plan zu haben, der transparent ist und gut zu kommunizieren. Ob es Einladungen sind, die Bedenken ausräumen oder einzelne Fokusgruppen zu etablieren. Wenn ein Unternehmen ein Callcenter ist, dann ist es die Gruppe Callcenter und nicht „Wir machen für alle einen Dauerlauf“. Schwächen für Mitarbeiter gibt es nicht, wenn es die richtigen Maßnahmen sind. Es nutzt ja nichts, Bewegungsmaßnahmen für diejenigen die den ganzen Tag sowieso in Bewegung sind bereitzustellen. Wenn das alles berücksichtigt wird, ist es ein Prozess der dauert 3-5 Jahre, bis die Maßnahmen im Unternehmen akzeptiert werden und wirken. Dann ist es in der Unternehmenskultur implementiert.
Zum Experteninterview: Dipl. Oec. Heidi Nickel ist qualifizierter Unternehmens-, Psychologischer und Gesundheitsberater. Auch in Ihrer Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender der Meine Gesundheit-Genossenschaft eG unterstützt sie mit ihrem Wissen und Können grundsätzlich gerne junge Menschen auf ihrem beruflichen (Weiter-)Entwicklungsweg. Das erfolgt gerade auch mit dem genossenschaftlichen Engagement „gemeinsam mehr Gesundheit“ und ein nachhaltig in Betrieben zu implementierendes BGM – eng damit verbunden, die Erreichung von wirksamer Unternehmenskultur.